
Jonas Berthold - Architektur und Städtebau
Produktionsprozess
Museum für pharmazeutische Forschung
2020
Semester 8
Prof. Felix Schürmann und Prof. Gerhard Bosch
Bachelorthesis
Nach einer intensiven Auseinandersetzung mit der Firma Boehringer Ingelheim und dem zu behandelnden Perimeter, wurde deutlich, dass diese weitläufige versiegelte Parkplatzfläche kaum mit den Nachhaltigkeitswerten, welche von der Firma auf der Webseite propagiert werden, vereinbar ist. Daher fiel die Entscheidung, zusätzlich zur Planung des Museums, noch eine städtebauliche Position zu entwickeln. Diese sollte Themen der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit zukunftsweisend umsetzen und übergreifende Funktionen ermöglichen, wie die Anbindung des Campus Aspach der Hochschule Biberach zur Stadt und die Verknüpfung von Boehringer Ingelheim mit der Umgebung. Aus dieser Quartierskonzeption und dem Gebäudekonzept sollte sich das Museum für pharmazeutische Forschung als Auftaktbaustein und städtebauliches Ausrufezeichen herausbilden. Im nächsten Schritt wurde das Umfeld eingehend unter den Aspekten der Abgrenzung des Firmengeländes, des öffentlichen Verkehrsnetzes, den Grünflächen, sowie dem vorhandenen Straßenraster analysiert. Das neue Quartier wird als Wissenschaftsdorf von Boehringer Ingelheim gesehen, welches von den Angestellten zusammen in Baugemeinschaften auf der Ebene der Gebäude entwickelt wird.
Die wichtigsten Aspekte des Quartierkonzepts behandeln die Themen Schallschutz, Mobilität, Grünflächen, öffentliche Nutzungen, natürliche Kühlung und Energieversorgung. Zum einen ist eine hohe Schallbelastung aus Osten von der Ulmer Straße zu erwarten, diese soll durch größere Gebäudeblöcke mit beispielsweise Büronutzungen abgehalten werden. Der Verkehrslärm der Ernst-Boehringer-Straße im Süden wird mit Hilfe von Topografie abgemildert. Das Mobilitätskonzept setzt auf Fortbewegung zu Fuß und mit dem Rad innerhalb des Gebiets und die Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz durch eine neue Haltestelle zentral gelegen auf der befahrbaren Verbindungsachse zum Campus Aspach. An dieser sind auch Parkplätze Straßen begleitend angedacht. Für das Museum selbst gibt es eine oberirdische Parkgarage mit circa 90 Stellplätzen, welche am Übergang vom Lager des Obis im Norden in das neue Quartier sitzt. Dieser Bau ist lediglich temporär gedacht und kann in der Zukunft wieder Rückgebaut werden. Es werden zwei neue Grünachsen geschaffen, die sich von West nach Ost durch die Bebauung ziehen und als öffentliche Grünanlagen gestaltet sind, die auch als Retentionsflächen dienen. Direkt im Norden des Museums befindet sich in der Grünzone ein Pfad der Naturheilkunde, welcher das Thema der Ausstellungen auch in den Außenbereich verknüpft. In nördlichen Teil des Gebiets werden die Grünflächen primär als Gärten zur Selbstversorgung genutzt. Der südliche Teil ist stark durch die Zone mit öffentlichen Nutzungen charakterisiert, mit dem Museumsplatz an zentraler Stelle. Von hier aus zieht sich die Materialität des Bodenbelags auch bis in das Firmenareal hinein und wird somit verknüpfendes Element. Die gesamte Bebauung ist so ausgerichtet, dass die nächtliche Kaltluftströmung von den Hängen im Osten und Westen das Quartier im Sommer kühlen kann. Außerdem werden die warmen Winde die meist aus Süd-West wehen größtenteils durch die Gebäude am Vordringen ins Innere gehindert. Auch die Verdunstungskälte durch die Evaporation auf den begrünten Dächern trägt weiter zur Kühlung bei. Die Abwärme der Produktionsanlage und Kühlräume kann zur Beheizung der Wohnungen genutzt werden. Auch die Solare Einstrahlung kann auf den großen Dachflächen durch Photovoltaikanlagen genutzt werden.
Die Konzeption des Gebäudes ist inspiriert durch den Fermentationsprozess eines Biopharmazeutikums. Durch die Assoziationen des Begriffs „Prozess“, wie Linearität, Rationalität, Effizienz, Spezialisierung, Technik und durch Aspekte von Boehringer Ingelheim, wie das Thema der Labore/Sterilität, Geheimhaltung, des Bioreaktors und der Firmenrepräsentation ergeben sich verschiedene Ansatzpunkte für das Museumskonzept. Demnach soll die Ausstellung als Einbahnstraße aus dunklen Ausstellungsräumen funktionieren, das Gebäude einem Grundraster unterliegen und die Zusatznutzungen von Start-Up Büros und Laboren, Seminarbereich und Museumspädagogik müssen auch eigenständig funktionieren können. Ebenso soll die Geschossigkeit aufgebrochen werden und das Gebäude vertikal erfahrbar gemacht werden. Ziel ist es einen aufgeklärten Besucher als „Produkt des Museums“ zu erzeugen und einen „Fermentationsprozess des Wissens“ anzustoßen. Dabei entsteht eine Ambivalenz von Außen und Innen, Komplexität und Einfachheit, Geschlossenheit und Transparenz und Funktionstrennung und Funktionsüberlagerung.
Aus der bildhaften Interpretation des Begriffs „Produktionsprozess“ entwickelte sich eine gedrehte Stapelung von Raumnutzungen um einen zentralen Kern. Hierbei entsteht eine Erschließungszone, die sich durch das Bauvolumen nach oben windet, sowie Bereiche an denen sich zwei Raumkörper überlagern und zu hohen Räumen zusammen geschlossen werden können.
Im Erdgeschoss des Gebäudes öffnet sich das Foyer vollständig zum vorgelagerten Platz, dessen Materialität sich bis in des Volumen hinein zieht und den Besucher auf seinem Weg nach oben begleitet. Direkt angeschlossen an den Eingangsbereich ist die Wechselausstellung sowie ein kleines Café. Nach dem Erwerb eines Tickets kann der Besucher sich über eine breite Freitreppe mit Sitzstufen weiter nach oben begeben. Auf diesem Weg begleitet ihn auch die Historienausstellung der Firma Boehringer Ingelheim in der Raumzone der Kolonnade entlang der Fassade. Im ersten Obergeschoss befindet sich der Seminarbereich mit einem dreiteilbaren Seminarraum und einem Veranstaltungssaal mit 120 Plätzen. Im Geschoss darüber sind der erste Ausstellungsraum, sowie die Verwaltung untergebracht. Das Raumvolumen der Ausstellung erstreckt sich immer über zwei Geschosse.
Im dritten Stockwerk ist die Museumspädagogik für Auszubildende oder Schulklassen mit einem Seminarraum, einem Picknickraum, sowie zwei Laboren, die mit Blickbeziehung zur Ausstellung konzipiert sind, situiert. Die folgenden Geschosse beherbergen zwei Ausstellungsbereiche sowie Start-Up Büros mit Laboren, welche auch im engen Kontakt mit der Ausstellung stehen und es so dem Besucher ermöglichen Einblicke in die pharmazeutische Forschung zu erhalten. Hier kann er in einer Art Schaulabor selbst Experimente durchführen. Im obersten Geschoss angelangt, endet die Historienausstellung entlang der Fassade mit dem Blick auf das Firmenareal, sowie Richtung Innenstadt von Biberach ähnlich dem Stil der promenade architecturale. Mit der Gastronomie ist dem Besucher hier auch noch eine Möglichkeit geboten länger zu verweilen oder er entscheidet sich wieder den Weg nach unten zu bestreiten und sich auf den Sitzstufen niederzulassen und das Geschehen in der öffentlichen Erschließungszone zu beobachten.
Das Erscheinungsbild des Gebäudes ist geprägt durch die Erschließung die sich nach außen heraus schiebt und sich vollständig zur Umgebung hin öffnet. Dadurch besitzt jede Ansicht des Museums einen gleichwertig repräsentativen Charakter. Der andere Teil der Fassade hinter dem sich die Ausstellungen und Büros verbergen, ist geschlossen gehalten und lediglich durch schmale Fensterstreifen natürlich belichtet. Hier wird die Ambivalenz von geschlossenen vorgehängten Metallpaneelen und offenen verglasten Flächen deutlich.
Das gesamte Gebäude unterliegt einem Grundraster von drei Metern und ist in einer Stahlskelettbauweise ausgeführt. Lediglich der zentrale Erschließungskern, die Teilunterkellerung und die Verbunddecken sind in Ortbeton ausgeführt. Das Grundprinzip des Tragwerks besteht aus zwölf Meter spannenden Lochstegträgern, die an den Eckpunkten einen Trägerrost bilden.
Das Museum sollte auch selbst die selben nachhaltigen Aspekte wie das Quartier behandeln. Daher ist die Konstruktion möglichst materialrein und demontierbar geplant, ebenso ist die Außenhülle gut gedämmt mit rezyklierbaren Dämmstoffen. Auch wenn die Aluminiumfassade aus Sicht der grauen Energie negativ zu werten wäre, ist sie doch unter dem Aspekt der Dauerhaftigkeit und Demontierbarkeit positiv zu bewerten, wenn das ganze Gebäude als Materiallager gedacht wird.
So kann das Museum für pharmazeutische Forschung, ein prägnanter Kubus im Zentrum des neuen Wissenschaftsdorfes Boehringer Ingelheim, als neues repräsentatives Zeichen der Firma in der Öffentlichkeit stehen.